Der EU-Gipfel am letzten Freitag sollte nach Merkel neben dem Thema “Brexit” Deadline sein für eine gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik (Außengrenzen, Flüchtlingsverteilung). Das Thema Füchtlingspolitik wurde weitgehend vertagt, nachdem der von Merkel für die Lösung der Flüchtlingsfrage favorisierte türkische Ministerpresident Davutoglu wegen eines Attentates verhindert war. Merkel hatte vorher die Erwartungen an den EU-Gipfel in bekannter Manier heruntergeschraubt. Und die “Gruppe der Willigen” im Sinne der Merkel’schen Flüchtlingspolitik (BENELUX, Österreich und Deutschland) war um Österreich geschrumpft, das eine Obergrenze für Ayslbewerber einführte und Deutschland empfahl, das gleiche zu tun.
Das Thema Flüchtlingspolitik schließt die Gruppe der berechtigten Asylbewerber (unter 20 %) und der Wirtschaftsflüchtlinge (über 80 %) ein. Für erstere gilt die Willkommenskultur. Für die Wirtschaftsflüchtlinge kann vor dem Grenzübertritt nach Deutschland nur ein geordnetes Bewerberverfahren gelten. Für viele der mehr als eine Million Flüchtlingen in Deutschland im Jahr 2015 wurden obige Grundsätze nicht realisiert, der in Eigenentscheidung vollzogene und von Fluchthelfern unterstützte Grenzübertritt zeichnet das Bild, es herrscht das Chaos auf beiden Seiten. Heute noch sind Hundertausende nicht registriert oder warten auf ihren Asylantrag.
Merkel steht für die hohe Flüchtlingszahl in Deutschland. Bis heute steht die Korrektur ihrer im letzten September in die Welt gesandten und bis nach Afghanistan wahrgenommenen pauschalen Willkomenskultur (Mutter aller Flüchtlinge) aus. Merkel spricht aktuell von der Notwendigkeit der merklichen Reduzierung der Flüchtlingszahlen und vertraut auf nachgelagerte verschärfte gesetzliche Maßnahmen in Deutschland (Rückführung, Familienachzug u.a.).
Etwa um die Mitte des letzten Jahres hatte die Türkei die Bewachung der türkischen Flüchtlingslager und der Seegrenze zu Griechenland aufgegeben. Die finanzielle Versorgung der Flüchtlingslage war zu dem Zeitpunk – was zwischenzeitlich korrigiert wurde – ungenügend. Nach einem Flüchtlingsrückstau in Ungarn im September signalisierte Merkel das Prinzip der offenen Willkommenskultur. Danach bewegten sich in den Folgemonaten Hunderttausende auf der Balkanroute in Richtung Norden, überwiegend nach Deutschland. Die destabilisierende Politik der Türkei zeigte in der EU Wirkung. Der Türkei wurden Finanzhilfen in Höhe von 3 Milliarden Euro sowie Erleichterungen beim EU-Betritt und bei der Visa-Vergabe versprochen.
Wenn Politik die Kunst des Möglichen ist, dann hat Merkel – unter Auslassung politischer Möglichkeiten – mit faktisch für Flüchtlinge offenen Grenzen die Massenbewegung erst beflügelt. Anstelle eines “Aufreissens des Scheunentors” hätte Merkel – mit Ansage – die “Tür” einen Spalt weit öffnen können. Hiermit wäre den Erfordernissen einer Flüchtlingspolitik (Aufnahme berechtigter Asylbewerber) einschließlich der Bekämpfung der Fluchtursachen – auch ohne Änderung von Gesetzen – im Gleichklang mit der EU Genüge getan worden. Merkel hat den für alle Beteiligten schädlichen Weg der offenen Willkomenskultur gewählt und den bis heute nicht korrigiert.
Mehr noch als dem für die Sicherung der EU-Außengrenzen zuständigen Griechenland vertraut Merkel auf den vereinbarten Deal mit der Türkei. Die Türkei ist im syrischen Bürgerkrieg Partei. Die Gegnerschaft zu Assad, die Unterstützung der ihn bekämpfenden Milizen, der ungehinderte Grenzübertritt tausender IS-Kämpfer nach Syrien, angebliche Geschäfte mit dem IS, der Kampf gegen die Kurden neuerdings auch in Syrien, zeigt eine von Konflikten getriebene Türkei mit ungewissem Ausgang. Wer weiß, welche neuen Ereignisse den türkische Ministerpräsident veranlassen, dem um zwei Wochen verschobenen EU-Flüchtlings-Sondergipfel fern zu bleiben?
Merkel gehen die Handlungsalternativen aus. Durch ihr Festhalten an der offenen Willkommenskultur und nachfolgenden großen Flüchtlingszahlen wenden sich fast alle EU-Regierungen brüskiert ab. Das eigentlich für die Sicherung der EU-Außengrenze zuständige Griechenland ist ein weiterer unsicherer Kantonist der Region, der noch dazu die angebotene Hilfe nicht vollumfänglich annimmt und umsetzt. Hier wäre die EU-Kompetenz für Maßnahmen an den Außengrenzen noch am ehesten angezeigt, aber nicht als Merkel-Maßnahme im Alleingang, sondern als eine die Außengrenzen schützende und den Flüchtlingszustrom regulierende EU. Mit Merkels Signal für geschützte EU-Außengrenzen und einer praktizierten Flüchtlings-Obergrenze wären fast alle EU-Länder wieder auf der Spur einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik. Der sich zwischenzeitlich in der deutschen Gesellschaft gebildete politische Graben könnte sich wieder ein Stück schließen und die für Deutschland schädlichen rechten Strömungen eindämmen. Merkels Flüchtlingspolitik hat vielfachen Schaden angerichtet. Auch ohne Merkel’scher Flüchtlingspolitik kann Deutschland seine politischen Belange “schaffen”.
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