EU-Sondergipfel: wie auf einem orientalischen Basar

Falls es sich noch nicht herumgesprochen hat: bei Verhandlungen mit Staaten des Orients herrschen oft – unausgesprochen – besondere Regeln: Die Verhandlungsgegenstände sind verrankt wie die Blumen in einem heimischen Gemälde.

Die EU und die Türkei haben beim EU-Flüchtlings-Sondergipfel in Brüssel (07.03.2016) ein “Zwischenergebnis” erzielt:

Die Türkei nimmt alle nach Griechenland eingereisten nicht bleibeberechtigten Flüchtlinge zurück. Die Bedingung hierfür:

  • Die EU verpflichtet sich für jeden aus Griechenland in die Türkei übernommenen Syrer eine gleiche Anzahl aus den in der Türkei lebenden Syrern zu übernehmen.
  • Verdoppelung der Ausgleichszahlungen für die in der Türkei lebenen Flüchtlinge auf 6 Milliarden Euro bis 2018
  • Beschleunigte EU-Beitrittverhandlungen
  • Visa-Liberalisierung schon ab Juli 2016.

Offensichtliche Vorgespräche der Bundeskanzlerin mit dem türkischen Ministerpräsidenten Davutoglu teilweise im Beisein des EU-Ratspräsidenten Tusk und des niederländischen Ministerpräsidenten Rutte führten zur Verstimmung bei den übrigen Gipfenteilnehmern. Auch steht in der Kritik, dass 3 Monate nach der Verereinbarung vom Herbst 2015 mit der Türkei keine Reduzierung des Flüchtlingszustroms nach Griechenland eingetreten ist.

Das vorliegenden Dokument wirft viele Fragen auf:

Die primäre Logik ist, die Flüchtlinge aus der Türkei ohne ein geordnetes Verfahren garnicht erst ausreisen zu lassen. Die EU leistet einen finanziellen Beitrag für die Versorgung der Flüchtlinge bis zur Rückführung nach Kriegsende. Damit gehen in der Türkei zwar tausende Fluchthelferjobs verloren, die Vereinbarung ist dagegen transparent und leicht umsetzbar. Welcher Logik soll die Ausreise, die Rückschickung und die Wieder-Ausreise von Syrern folgen?

Wenn eine thematisch nicht geeinte 28 köpfige EU-Präsidenten-/Ministerpräsidenten-Runde sowie 3 Leiter der EU-Institutionen in Verhandlungen mit dem türkischen Ministerpräsidenten zur Beendigung des Flüchtlingszustrom von der Türkei in die EU tritt, so ist ein Ergebnis wie das vorliegende nicht verwunderlich. Selten wurde die schwache Verfassung der EU so evident wie bei diesem Gipfel. Beim nächsten regulären EU-Gipfel am 17.03.2016 soll das Thema weiter verhandelt werden?

Wer in einen renommierten Club aufgenommen werden will – beispielsweise Golfclub oder Tennisclub – , muss oft ein bedeutendes Eintrittsgeld bezahlen. Beim Aufnahmewunsch der Türkei in die EU scheint das umgekehrt zu sein. Hier nennt der Aufnahmekandidat die Bedingungen. Das Renommee der EU wird offenbar nicht hoch eingeschätzt

Wer seinem Verhandlungespartner sehr früh – wie Bundeskanzlerin Merkel lange – signalisiert, dass er ihn zur Problemlösung unbedingt braucht, erhöht den Preis. Folgerichtig hat die Türkei die finanziellen Forderungen zum Kostenausgleich für die aufgenommenen Flüchtlinge bis 2018 verdoppelt.

Der Natopartner Türkei ist Partei im syrisch/irakischen Bürgerkrieg (PolitForum vom 22.02.2016), die Haupt-Fluchtursache für die Flüchtlingsbewegung. Eine Stabilität ist damit außenpolitisch kurzfristig nicht zu erwarten. Und innenpolitisch schränken aktuelle Aktionen gegen die Zeitung “Zaman” und die Agentur “Cihan” die Pressefreiheit ein. Eine noch im Detail zu spezifizierende Vereinbarung mit der EU zur Flüchtlingsrückführung trifft auf einen Vertragspartner, dessen vertragliche Verpflichtungen ständigen internen und externen Belastungen aussetzt sind mit der Folge von möglichen Auseinandersetzungen der Vertragsparteien wegen mangelhafter Vertragserfüllung, erhöhter Kostenforderungen wegen erklärter Mehrleistung u.v.m., und das bei beschränkten Kontrollmöglichkeiten.

Es ist für die EU an der Zeit, sich speziell über die Rolle eines Protagonisten/Hauptfigur/Opinion Leaders in wichtigen Themen wie der Flüchtlingspolitik, und hier insbesondere über die Rolle der Deutschen Bundeskanzlerin Merkel, Klarheit zu verschaffen. Hat Merkel das Mandat der EU zur Flüchtlingspolitik der offenen Grenzen, dem die große Mehrheit der Staaten in der EU widerspricht? Diese Frage rührt an die Grundfesten der EU. Viele glauben, dass Merkel dieses Mandat auch durch ein Plebiszit in Deutschland hätte einholen müssen.

Fakt ist, dass die Balkanroute durch die jüngste Regelung von Serbien, Kroatien und Slowenien zur Vorlage von Visa und Pass beim Grenzübertritt – zusätzlich zu der restriktiven Haltung von Mazedonien und Bulgarien – praktisch geschlossen ist. Damit leisten die Westbalkanstaaten und Österreich den praktischen Betrag zur Problemlösung, den man von der EU und Merkel erwartet.

Es liegt der Hauptfokus auf Griechenland und seiner mangelnden Effizienz hinsichtlich Flüchtlingsbegrenzung an der EU-Außengrenze. Die Unterstützung der EU bei der Lösung der anstehenden Probleme – bei Erfüllung der eigenen Aufgaben – ist sicherlich nicht das Problem. Zum Vergleich hat Spanien “geregelte Verhältnisse” zur Begrenzung des Flüchtlingszustrom auf dem Seeweg aus Nordafrika geschaffen. Hier ertrinken auch nur noch wenige Menschen.

Die EU und ihre Akteure scheitern mit ihrer Politik des guten Zuredens. Das ständige Zurückweichen von EU-Verantwortlichen bei Nichterfüllung von vereinbarten EU-Standards einzelner Mitgliedsstaaten zeugt von einer Geringsschätzung der EU-Mandatsträger in das Vermögen der eigenen Organisation. Die EU verliert so das beschädigte Vertrauen ihrer Bürger weiter und kann scheitern.

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