“Die Fluchtursachen bekämpfen” nur ein Lippenbekenntnis?

“Die Fluchtursachen bekämpfen” ist ein geflügeltes Wort, das besonders Politikern im Zusammenhang mit dem Flüchtlingszustrom schnell über die Lippen geht. Auch bei der Bundeskanzlerin ist es neben “Außengrenzen überwachen” und “Zusammenarbeit mit der Türkei” eines der Säulen ihres Konzepts zur Reduzierung des Flüchlingszustroms.

Die unten stehenden Beispiele sollen stellvertretend stehen für Aufwand und Zeitrahmen bei der Fluchtursachenbekämpfung:

1. Der Bürgerkrieg in Syrien und dem Irak ist seit Jahren und besonders seit Mitte letzten Jahres die Fluchtursache Nummer eins im Nahen Osten. Flüchtlingsströme bewegen sich innerhalb der beiden Länder, zu den Nachbarländern sowie nach Europa und besonders Deutschland. Europa erlebt darüber hinaus einen Flüchtlingszustrom mit Menschen aus Afghanistan und weiteren Ländern des Vorderen Orients, dem Horn von Afrika, aus Nordafrika sowie aus Staaten südlich der Sahel-Zone.

Im Falle von Syrien kämpfen im seit 5 Jahren andauernde Bürgerkrieg eine Vielzahl von Milizen vor allem gegen das seit den 70iger Jahren herrschende Assad-Regime, das sich mit allen Mitteln gegen eine Teilung und Beteiligung an Macht und Ressourcen wehrt. Hunderttausende Opfer sind zu beklagen. Millionen Menschen sind auf der Flucht.

Das Assad-Regime wird unterstützt durch den Iran, die Hisbollah im Libanon und weiterer schiitischer Gruppierungen. Durch die massive Unterstützung durch Rußland hat sich das Assad-Rime in den letzten Wochen wieder stabilisiert.

Gegen das Assad-Regime kämpft eine breite Koalition sunnitischer Staaten wie Saudi Arabien und Katar, angeführt von den USA und weiterer westlicher Staaten. Die sunnitischen Kämpfer des IS und Al Nusra/Al-Qaida sind hier mit zu nennen, spielen  aber eine Sonderrolle.

Der Kampf der beiden Gruppierungen steht stellvertretend für die Erlangung einer Vorherrschaft in der Region.

Die seit dem Wochenende zwischen den USA und Rußland mit Zustimmung wichtiger Akteure vereinbarte Waffenruhe läßt erste Hoffnung auf einen Frieden und ein Ende von Krieg und Vertreibung in der Region aufkommen.

Es bleibt festzuhalten, dass Europa an der Vereinbarung der Waffenruhe nicht beteiligt war, aber eines der Ziele für die Flüchtlingsströme aus der Region ist.

Angesichts des Gefühl der Ohnmacht in diesem multikomplexen  Konflikt bleibt nur die ernüchternde Feststellung, dass die Weltgemeinschaft in ihren Friedensbemühungen früher, enger, ehrlicher, schneller, professioneller und entschiedener zusammenwirken muß, um solche Fluchtursachen zu verhindern. Ignoranz muß ein Ende haben.

2. Die Forderung nach Rechtsstaatlichkeit mit der Ausübung staatlicher Macht nur auf der Grundlage von Verfassung und Gesetzen und der Gewährleistung von Menschenwürde, Freiheit und Gerechtigkeit ist in den teilweise autokratisch regierten Staaten der Region nicht durchgängig gewährleistet. Ein Mangel an Rechtssicherheit, Gewaltenteilung und die latente Unterdrückung Andersdenkender kann Fluchtbewegungen befördern.

3. Von Armut und Hunger sind in einzelnen Staaten große Teile der Bevölkerung heimgesucht. Die Wirtschaft ist vielfach agrarisch geprägt. Wertschöpfung und Einkommen sind dementsprechend relativ gering. Die wirtschaftliche Entwicklung kann nicht Schritt halten mit der Bevölkerungsentwicklung. Armut und Hunger sind wohl neben Krieg eine der Haupt-Fluchtursachen.

4. Bildungs- und Ausbildungs-Standards auf internationalem Niveau einerseits und  partieller Analphabetismus andererseits sind selbst in Staaten wie Ägypten anzutreffen. Die Anhebung des Bildungs- und Ausbildungsniveaus eröffnet Arbeitschancen in Berufen mit höherer Wertschöpfung und Verdienstmöglichkeiten. Der Drang, das Land wegen “wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit” zu verlassen, wird geringer.

5. Die Förderung der wirtschaftliche Entwicklung durch Kapitalzufluß, Know-How-Transfer und staatliche und private Kooperationen schafft einen höheren Industriealisierungsgrad und mehr Beschäftigung.

Die oben in fünf beispielhaften Punkten zusammengestellten Maßnahmen zur Fluchtursachenbekämpfung erfordern mehr als ein schnelles Lippenbekenntnis zur Bekämpfung der Fluchtursachen, namlich die Vereinbarung eines  Zielrahmen, großes politisches Engagement und die Bereitstellung hoher finanzieller und personeller Ressourcen, die die Möglichkeiten einzelner Nationalstaaten übersteigt. Die Lehre aus der Flüchtlingskrise muss sein, dass die EU das Wohl und Wehe der südlichen Nachbarn nicht weiter ignoriert, die Länder gezielt unterstützt und damit aktuelle Migrationsbewegungen weitgehend überflüssig macht.

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