An dem Protest gegen den Umbau des stuttgarter Bahnhofs zum Tiefbahnhof beteiligten sich mehr oder weniger alle Schichten der traditionell konservativen schwäbischen Bevölkerung. Bei anhaltenden Bahn-Protesten kam es bei der Landtagswahl von Baden-Württemberg zur Abwahl der seit mehr als 60 Jahren regierenden CDU.
Dass eine Partei nach 60 Jahren Regierungszeit abgewählt wird, kann als befreiender demokratischer Vorgang gedeutet werden: bei typischen Anzeichen wie Netzwerkpolitik statt Sachpolitik, Verflechtungen statt Entscheidungen im Diskurs, Festhalten an alten Wahrheiten, die sich überlebt haben, Visions-Armut, Grenzüberschreitungen von Politik und Wirtschaft und vieles mehr hat der Bürger für Politikerneuerung vortiert.
Mit dem gestrigen Wahlsieg der Befürworter des Stuttgarter Bahnprojekts (59 %) und der Niederlage der Projektgegner (41 %) werden eine Reihe grundsätzlicher gesellschaftspolitischer Aspekte zur Realisierung von Projekten/Großprojekten in Deutschland evident:
- Die Projektgegner bezweifeln die grundsätzliche Notwendigkeit des Bahnprojekts und lehnen die hierfür erforderlichen finanziellen Aufwendungen, den Abriss des alten Bahnhofgebäudes, die Fällung/Verpflanzung von mehr als 100 Bäumen u.v.m. ab
- Die Projektbefürworter sehen das Bahnprojekt Stuttgart 21 als zukunftsweisende Bahninvestition für die Region mit dem Zusatznutzen von neuen Gewerbeflächen sowie von Grünflächen an der Oberfläche bei vertretbaren Kosten u.v.m.
- Bei der Diskussion wurden von beiden Seiten alle medialen Register gezogen, populistische Argumente beschworen, Mainstream-Meinung verbreitet, die Emotionen hoch gespielt. Das sachliche Argument blieb vielfach auf der Strecke?
- Wenn Bahnverantwortliche Strukturprojekte für die nächsten Jahrzehnte entwickeln und beschliessen, dann muss das auf der Grundlage von Recherchen und Sachargumenten geschehen im Sinne einer gesamtwirtschaftlichen Nutzenabwägung. Die Umsetzung dieser Projekte berührt öffentliche Belange und Geldmittel, die Projekte müssen während ihrer Entstehung im öffentlichen Raum bekannt sein und diskutiert werden können.
- Bei der finalen Umsetzung eines Projekts überwiegt das Sachargument. Wenn zwingende Sachargmumente beispielsweise die Bahn im Mobilitätsmix des Jahres 2050 als das Verkehrsmittel der Langstrecke benennen, sind damit die Investitionsziele festgelegt. Entgegenstehende Plebiszite/Volksentscheide/Referenden würden sich auf Wirtschaftsleistung und gesellschaftenlichen Wohlstand negativ auswirken. Die Nicht-Berücksichtigung solcher Plebiszite – im Dissenz durch eine übergeordnete demokratische Instanz? – würde dennoch jeden möglichen Raum für Änderungen im Detail, Berücksichtigung regionaler Belange, Aktivitäten für Plankontrolle und gegen Kostenüberschreitung u.v.m. zulassen.
- Wer die weltwirtschaftlichen Veränderungen sieht, erkennt, dass Halten und qualifizierter Ausbau der wirtschafltichen Position einer entwickelten Volkswirtschaft wie Deutschland besonderer und neuer Anstrengungen bedarf. Ohne sinnvolle Zukunfts-Projekte ist die heutige Position nicht zu halten.
- Haben die Stuttgart-21-Protestierer das verinnerlicht? Wenn die Zukunft Stillstand oder Rückschritt bedeutet, werden davon nicht nur Einkommen/Gehälter sondern auch Transleistungen wie Renten und sonstige Unterstützungsleistungen negativ berührt?
- Der Zeitrahmen für Großprojekte ist in Deutschland in höchstem Maße ineffizient weit gesteckt. Jede erdenkliche Einspruchsebene produziert Zeitverzögerung und steigende Kosten, oft nur mit bescheidenem Qualitätsgewinn für das Projekt. Für die Realisation von Großprojekten ist ein gesellschaftlich sanktionierter Masterplan/Checkliste für Pojetkfortschritt und Zeitplanung erforderlich. Von der Konzeptvorlage bis zur Umsetzung muss für alle Beteiligten eine Zeitspanne von maximal einem Jahr ausreichend sein.
- Als Orientierungsmaßstab hierfür muss nicht unbedingt China mit sehr kurzen Planungszeiträumen und konkurrenzlos hohen Zuwachsraten von weit mehr als 5 % pro Jahr gelten? Aber das deutsche “Wirtschaftswunder” der Nachkriegszeit könnte Vorbild sein?
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