Breivik, Mateen und andere: wie kann sich die Gesellschaft schützen?

Wenn Menschen aus “eigenem Antrieb” – nicht aus Hunger, Notwehr, im Krieg, durch Verkehrsunfall u.a. – massenhaft töten, geschieht dies aus aus einer inneren Disposition, die sich – eine mögliche genetische Ursache soll wissenschaftlichen Untersuchen überlassen bleiben – in der persönlichen Sozialisation entwickelt hat.

Der Lebenslauf des 1979 geborenen Anders Breivik ist gekennzeichnet durch Scheidung der Eltern, wenig Interesse von Seiten des Vaters, leben bei der überforderten Mutter, Pflegeeltern, kein Schulabschluß und kein geregeltes Arbeitsleben. In seinen Sozialkontakten sucht er erfolglos die Führungsrolle. Bei der rechtskonservativen Fortschrittspartei erhält er keinen Listenplatz. Jahre lang spielt er das Kriegs-Computerspiel “World of Warcraft”.  Seine Verschörungstheorien über eine muslimische Invasion in Europa postet er in  “Gates of Vienna”. In einem 1500 seitigen Manifest bekennt er sich zum Gedankengut eines Neonazis und Gegners der Multikulturalisten in Europa. Am 22. Jul 2011 erschießt Breivik 69 Mitglieder der Jugendorganisation der norwegischen Arbeiterpartei auf der Insel Utoya, nachdem er zuvor 8 Menschen durch eine Bombenexplosion im Regierungsviertel von Oslo tötet. Er läßt sich ohne Widerstand festnehmen.

Omar Mateen wird 1986 in New York als Sohn afghanischer Immigranten geboren. Mit zwei Jahren ziehen seine Eltern nach Orlando/Florida. Er besitzt die US-amerikanische und afghanische Staatsbürgerschaft, macht mit zwanzig Jahren zwei High School Abschlüsse, ist zweimal verheiratet und hat einen Sohn. Durch seine Tätigkeit bei einem bekannten Sicherheitsdienst besitzt er zwei Waffenscheine. Wegen aufrührerischem Auftreten und Kommentaren wird er nach drei Jahren aus dem Sicherheitsdienst entlassen. Das FBI führt Mateen deshalb und wegen angeblicher IS-Sympathien auf einer Beoachtungsliste. Mateen’s Vater sympathisiert mit den Taliban.

Omar Mateen verkehrt gelegentlich im LGBT-Schwulenclub Pulse in Orlando, trinkt Alkohol und fällt wegen seiner Aggressivität negativ auf. Ob er selbst schwul ist, ist nicht gesichert. Am 12. Juni 2016 verübt Mateen im Schwulenclub Pulse das größte Massaker der Vereinigten Staaten seit den Torroranschlägen in New York vom 09.11.2001, in dessen Verlauf 49 Menschen und er selbst getötet werden. Während der Tat bekennt er sich telefonisch bei der Polizei als IS-Anhänger. Nach Meinung des Vaters hat Omar Mateen die Tat aus Hass gegen Schwule begangen.

Am 13.06.2016 verübt der wegen Rekrutierung extremistischer Kämpfer zu einer dreijährigen Haft verurteilte 25 jährige französische Staatsbürger, Islamist und IS-Anhänger Larossi Abballa einen Polizisten-Doppelmord vor der Haustür und im Haus seiner Opfer in Magnanville nahe Paris. Die Video-Aufzeichnung seiner Tat stellt er in seinen Facebook-Account. Während der Geisenahme wird er von der Polizei erschossen.

Die links-liberale britische Labour-Abgeordnete und erklärte EU-Befürworterin Jo Cox wird am 16.06.2016 am Marktplatz im nordenglischen Birstall ermordet. Als möglicher Täter verhaftet wird der 52 jährige rechtsradikale und mit der amerikanischen Neonazi-Szene sympathisierende  – psychischisch kranke ? – Thomas Mair, der während seiner Messer- und Pistolen-Attacke den Namen der rechtsradikalen Partei “Britain first” ruft. Dieser Mord steht sinnbildlich für den Wut- und Hass-erfüllten Wahlkampf der Brexit-Befürworter und Brexit-Gegner vor dem am 23.06.2016 stattfindenden Referendum zum möglichen Austritt Großbritannien aus der EU. Mair läßt sich widerstandslos festnehmen.

In allen vier hier geschilderten Fällen handelt es sich um Morde an Menschen, deren Leben und Handeln im Einklang mit den Gesetzen ihres Landes stehen, das aber von ihren Mördern bekämpft wird: Breivik tötet jugendliche Mitglieder der norwegischen Arbeiterpartei als Teil der multikulturell offenen Gesellschaft. Mateen verübt einen Massenmord an von ihm bekämpfte Menschen mit homosexueller Überzeugung. Aballa begeht den Polizisten-Doppelmord aus Rache am verhassten politischen System. Thomas Mair tötet eine Politikerin, die beim geplanten EU-Referendum für den EU-Verbleib eintritt.

Begangen werden die Morde von Einzeltätern, die entschlossen sind, Menschen anderer Überzeugung durch physiche Vernichtung auszuschalten. Die beiden Massenmörder Breivik und Mateen verstärken die Wahrnehmung ihrer Taten durch die Vielzahl der Opfer.

Demokratische westliche Gesellschaften sind charakterisiert durch politischen Mehrheitsbeschluß. Sie werden getragen vom gesellschaftlichen “Common Sense” hinsichtlich vieler konstituierender Merkmale wie Meinungs- und Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gültigkeit der Grundrechte, freie Relegionsausübung, freie Berufswahl, freie Wisschenschaften, Wahlfreiheit, kulturelles Wertesystem und vieles mehr, deren Schutz das gesellschaftliche Rechtssystem garantiert. Obige Mordtaten dokumentieren die Ablehnung einzelner oder einer Vielzahl der genannten Rechtsgüter durch radikalisierte Täter.

Es ist Aufgabe präventiver staatlicher Verbrechenssbekämpfung, potentielle Täter noch vor der Tat aufzuspüren und auszuschalten. Einzeltäter, die nicht kommunizieren und sonst keine Auffälligkeiten zeigen, sind allerdings schwierig zu ermitteln.

Die demokratischen westlichen Gesellschaften haben nach Jahrhunderte langen blutigen Auseinandersetzungen in Religionskriegen, Freiheitskriegen und Befreiung von der Feudalherrschaft mit dem Eintreten für Grundrechte und der Festlegung einer Verfassung im Zusammenleben der Menschen einen Grad an persönlicher Freiheit erlangt, den es als hohes Gut zu verteidigen gilt. Gerade die hier angeführten terroristischen Taten zeigen, dass fundamentale gesellschaftliche Verhaltensregeln nicht mehr im Kontext von allen Staatsbürgern – mit oder ohne Migrationshintergrund – gelebt werden. Das nach dem Ende der Nazi-Herrschaft allgemein akzeptierte staatsbürgerliche Ideal einer freiheitlichen Demokratie ist kein Selbstläufer mehr.

Es zeigt sich, dass ein heutiger freiheitlicher Staat zum Funkionieren und Überleben eines Konsens bedarf, der alle Facetten multikultureller Gesellschaften einschließt. Um das zu gewährleisten, müssen Staat und Gesellschaft immer wieder über die unverzichtbaren Grundlagen des freiheitlichen demokratischen Zusammenlebens aufklären und erzieherisch einwirken. Eine auf den Einzeltäter ausgerichtete präventive Verbrechensbekämpfung reicht nicht aus.

(Siehe hierzu auch PolitForum, 03.08.2011)

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